EU-Wahl: Digitale Infrastruktur in Deutschland – auf der Datenautobahn überholt

Der Glasfaserausbau stockt erheblich und die 5G-Netze auf dem Land haben Lücken. Wir zeigen, wo Deutschland im EU-Vergleich steht.

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Eine Illustration: Zwei Autobahnstreifen, der eine überwuchert und alt, der andere befahren und neu, darüber führt eine Brücke, auf der zwei Mobilfunkempfang-Icons illustriert sind

Deutschland hinkt bei der digitalen Infrastruktur im EU-Vergleich hinterher. Das gilt vor allem für den Glasfaserausbau und die 5G-Netze auf dem Land.

(Bild: Midjourney, Bearbeitung von heise online)

Lesezeit: 18 Min.
Inhaltsverzeichnis

Deutschland gilt Vielen in Europa als Technologieführer. In Bereichen wie der Elektrotechnik, dem Maschinenbau oder der chemisch-pharmazeutischen Industrie mag das zutreffen, nicht aber in Bezug auf die digitale Infrastruktur. Laut dem Digital Economy and Society Index (DESI) hapert es bei Internetgeschwindigkeit und Mobilfunk in Deutschland an einigen Stellen. Warum das so ist und wie das Land im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dasteht, erklärt dieser Artikel.

Unter digitaler Infrastruktur versteht man die Telekommunikationsinfrastruktur eines Landes, die sich in die kabelgebundenen Festnetze und die Mobilfunknetze unterteilt. Mit dem Wachstum des Internets, dem Beginn der Kommerzialisierung des World Wide Web und der zunehmenden Verbreitung des Mobilfunks haben Datenautobahnen enorm an Bedeutung gewonnen. Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur ist die wesentliche Grundlage für die digitale Transformation und zu einem der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren für Wirtschaft und Wissenschaft geworden. Privatwirtschaftliche Unternehmen stellen die digitale Infrastruktur bereit. Die drei größten Netzbetreiber sind derzeit die Deutsche Telekom, Telefónica Deutschland und Vodafone. Hinzu kommen dutzende weitere Unternehmen, wie lokale Internetanbieter mit städtischen Netzen oder auch Backbone-Betreiber, die Internetknotenpunkte per Glasfaser miteinander verbinden.

Um den technologischen Fortschritt und die digitale Entwicklung in den 27 Mitgliedsstaaten zu messen, hat die EU von 2014 bis 2022 den "Digital Economy and Society Index" (DESI) aufgelegt. Dieser hat die Entwicklung der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft in den EU-Mitgliedstaaten in vier Hauptkategorien gemessen: 1. digitale Kompetenzen der Bevölkerung ("Humankapital"), 2. Konnektivität, 3. digitale Integration und 4. digitale öffentliche Dienste.

Deutschland liegt mit Rang 13 zwar über dem EU-Durchschnitt, aber nur im Mittelfeld der europäischen Staaten. Angeführt wird das DESI-Ranking von Finnland (1.), Dänemark (2.) und den Niederlanden (3.). Die letzten Plätze belegen Estland (25.), Bulgarien (26.) und Rumänien (27.). Obwohl die Studie 2022 endete, wirken die DESI-Ergebnisse nach und haben auch Einfluss auf das EU-Projekt "Digitale Dekade". Denn das erklärte Ziel der Bundesregierung und ihrer Digitalstrategie ist es, bis 2025 unter die europäischen Top 10 zu kommen.

Europawahl 2024

In Deutschland dürfen am 9. Juni 2024 alle EU-Bürgerinnen und -Bürger ab 16 Jahren wählen, die im Wahlverzeichnis stehen. Im Vorfeld der Wahl beleuchten wir die Digitalpolitik der Europäischen Union und ordnen ein, welche Themen in Brüssel diskutiert wurden und werden.

Um bis 2030 noch digitaler zu werden, hat die Europäische Union die "Digitale Dekade" ausgerufen. Unter diesem politischen Vorhaben werden verschiedene Bereiche zusammengefasst, wie digitale Kompetenzen, digitaler Wandel in Unternehmen, die Digitalisierung öffentlicher Dienste und eine sichere sowie nachhaltige digitale Infrastruktur.

Bereits in ihrer Rede zur Lage der Union hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2020 erklärt: "Wir wollen unsere Investitionen auf sichere Konnektivität, auf den Ausbau von 5G, 6G und Glasfaser konzentrieren". Ein Jahr später verkündete sie mit großer Geste: "Wir werden in beispielloser Weise in 5G und Glasfaser investieren". Auch die politischen Parteien sind sich in diesem Punkt einig, verfolgen in ihren Europawahlprogrammen aber andere Ziele und schlagen daher unterschiedliche Maßnahmen zur Digitalpolitik vor – mehr dazu später im Artikel.

Der DESI erfasst die digitalen Infrastrukturen unter dem Begriff "Konnektivität" mit insgesamt vier Hauptindikatoren. Dazu gehören die Verbreitung von Festnetz-Breitbandanschlüssen und -abdeckung, das mobile Breitband und die Tarifpreise für den Endkunden. Dabei belegen Dänemark, die Niederlande und Spanien die ersten drei Plätze. Polen, Estland und Belgien bilden dagegen die Schlusslichter in dieser Kategorie des DESI. Die Konnektivität ist die einzige Großkategorie im DESI, bei der Deutschland deutlich über dem EU-Durchschnitt liegt – nämlich auf dem 4. Platz. Denn bei den Festnetzen verzeichnete Deutschland im Jahr 2021 bei den meisten Indikatoren im Bereich Konnektivität Fortschritte. Deutschland hat eine Versorgung mit schnellem Breitband von 96 Prozent erreicht, was eine solide Grundlage für die digitale Teilhabe an Gesellschaft und Wirtschaft darstellt.

Durch die Zusammensetzung dieser Kategorie aus vier verschiedenen Indikatoren kann jedoch auch ein verzerrtes Bild entstehen. So belegt Deutschland bei der Konnektivität zwar den vierten Platz, hat aber in den ländlichen Regionen einen großen Nachholbedarf bei der Versorgung mit festem und vor allem mobilem Breitband sowie beim Glasfaserausbau. Ähnliches gilt für Rumänien, das im DESI-Gesamtranking zwar den letzten Platz belegt, bei der Konnektivität aber im Mittelfeld und bei den Breitbandpreisen sogar im Spitzenfeld liegt.

Die vier Indikatoren der Konnektivität: Verbreitung von Festnetz-Breitbandanschlüssen (blau) und -abdeckung (rot), das mobile Breitband (gelb) und die Tarifpreise für den Endkunden (grün).

(Bild: DESI 2022; Europäische Kommission)