Urheberrechtsverstöße: EuGH gestattet Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich

IP-Adressen zur Urheberrechtsdurchsetzung auf Vorrat zu speichern, ist zulässig, wenn Schutzbedingungen für die Privatsphäre eingehalten werden, meint der EuGH.

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Gebäudekomplex des Europäischen Gerichtshofs

Gebäudekomplex des Europäischen Gerichtshofs

(Bild: curia.europa.eu)

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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Möglichkeiten der Mitgliedsstaaten für das anlasslose Protokollieren von IP-Adressen zur Verfolgung von Straftaten deutlich ausgeweitet. Aus einem am Dienstag veröffentlichten Grundsatzurteil geht hervor, dass die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte darstellt. Sie sei zulässig, wenn nationale Vorgaben Speichermodalitäten vorschreiben, durch die verschiedene Kategorien personenbezogener Daten strikt getrennt werden. Damit sei auszuschließen, "dass genaue Schlüsse auf das Privatleben" der Betroffenen gezogen werden können.

In dem Fall geht es um das "3-Strikes"-System der französischen Behörde Hadopi, die für die Durchsetzung des Urheberrechts im Internet und Online-Sperren zuständig ist. Bei diesem Modell der "abgestuften Erwiderung" werden Nutzer, die Urheberrechtsverstößen verdächtigt werden, zunächst zweimal verwarnt. Nach einer dritten Rechtsverletzung kann sich die Hadopi an die zuständige Justizbehörde wenden, um eine Strafverfolgung einzuleiten. Zuvor muss die Hadopi den Täter ermitteln können, um ihn zu verwarnen. Dafür erlaubte die französische Regierung der Hadopi 2010 per Dekret, von Telekommunikationsbetreibern über die IP-Adresse die Identitätsdaten des mutmaßlichen Straftäters abzufragen.

Dieses Dekret haben die vier Bürgerrechtsorganisationen La Quadrature du Net (LQDN), Fédération des fournisseurs d'accès à Internet associatifs, Franciliens.net und das French Data Network gerichtlich angefochten. Der französische Staatsrat befragte daraufhin den EuGH, ob es mit dem EU-Recht vereinbar ist, wenn Identitätsdaten gesammelt werden, die IP-Adressen zugeordnet sind und wenn diese Informationen ohne voherige Kontrolle durch ein Gericht automatisiert verarbeitet werden, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Der EuGH hat in der Rechtssache C-470/21 nun entschieden, dass das EU-Recht einer nationalen Vorschrift nicht entgegensteht, die es gestattet, der zuständigen nationalen Behörde allein zur Identifizierung eines Strafverdächtigen den Zugang zu den Identitätsdaten zu geben (PDF), die ein Provider einer IP-Adresse zuordnen kann.

Voraussetzung dafür ist, dass die Internetanbieter die unterschiedlichen Informationen nicht von vornherein zusammen speichern. Mitarbeitern, die Zugang zu dem Datensystem haben, muss es untersagt sein, Informationen über den Inhalt der konsultierten Dateien offenzulegen. Sie dürfen zudem nicht die unter den IP-Adressen besuchten Internetseiten nachverfolgen und diese Kennungen nicht zu anderen Zwecken als dem der Identifizierung ihrer Inhaber mit Blick auf etwaige gegen sie gerichteter Maßnahmen nutzen.

Werden diese Vorgaben eingehalten, muss der Zugang zu dem Datensystem nicht durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle kontrolliert werden, wenn der mit der Maßnahme verbundene Grundrechtseingriff "nicht als schwerwiegend eingestuft werden kann", schreibt der EuGH. Eine zusätzliche Genehmigung sei nur dann nötig, wenn es "durch die Verknüpfung der im Lauf der verschiedenen Stufen dieses Verfahrens gesammelten Daten und Informationen" möglich wäre, das Privatleben der Betroffenen detailliert auszuleuchten.

Prinzipiell hat der EuGH wiederholt eine verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten generell verworfen. IP-Adressen allgemein und unterschiedslos aufzubewahren, kann aber zulässig sein, um schwere Kriminalität zu bekämpfen und schwere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit zu verhüten, geht aus neueren EuGH-Urteilen hervor. Der EuGH-Generalanwalt Maciej Szpunar regte im September schon an, diese Rechtsprechung "pragmatisch" weiterzuentwickeln.

LQDN zeigte sich schwer enttäuscht über das Urteil: Der EuGH habe mit seiner Kurswende "das Ende der Anonymität im Internet" besiegelt. Der Polizei werde ein umfassender Zugriff auf die mit einer IP-Adresse verbundene persönliche Identität und sogar Kommunikationsinhalte ermöglicht.

(anw)